Gefahr durch Botulinum-Toxin

In den letzten Monaten sind in verschiedenen Zeitungsartikeln oder Fernsehsendungen sehr reißerische Berichte über die tödliche Gefahr von Botulinum-Toxin erschienen.

Lassen Sie sich dadurch nicht verunsichern. In einem Interview mit einer Fachzeitschrift hat
Privatdozent Dr. Dirk Dressler, Oberarzt an der Klinik für Neurologie, Universität Rostock, dazu Stellung genommen. Seine Hauptarbeitsgebiete umfassen klinische, neurophysiologische, bildgebende
und genetische Untersuchungen der zentralen Motorik und der Bewegungsstörungen. Sein besonderes
Interesse gilt dabei der Dystonie und der Spastik. Er gilt als einer der Pioniere der Botulinum Toxin-Therapie in Europa.

Herr Priv.-Doz. Dressler, in der Vergangenheit ist immer wieder von schweren, zum Teil tödlichen Nebenwirkungen bei der Anwendung von Botulinum Toxin-Medikamenten berichtet worden. Können Sie das kommentieren?
Wir sind sehr unglücklich über diese Berichte. Sie werden in der Presse teilweise sehr plakativ veröffentlicht und verunsichern dann viele Patienten. Wenn es jedoch um die entscheidenden Details zur Beurteilung der Fälle geht, werden diese weder von der Presse noch von den Behörden zur Verfügung gestellt.

Können Sie Beispiele nennen?
Mitte der 1990er Jahre wurde in Großbritannien von einem Patienten mit zervikaler Dystonie berichtet,
der durch eine Botulinum Toxin-Therapie ums Leben gekommen sein soll. Fakt war: Der Patient entwickelte nach der Botulinum Toxin-Therapie eine Dysphagie, aspirierte und verstarb an einer Pneumonie. Hier konnte wenigstens geklärt werden, dass schuldhaft versäumt wurde, eine Nasensonde
zu legen und eine entsprechende banale Antibiose zu verabreichen.

Im Jahr 2006 soll es in Florida bei einer kosmetischen Anwendung von Botulinum Toxin zu schweren Nebenwirkungen gekommen sein.
Ein grotesker Fall: Hier ergaben Recherchen, dass laborchemisches Botulinum Toxin beim Menschen angewendet worden ist. Dabei wurde dann offenbar auch noch die Mengenangabe der Laborchemikalie in mg mit der Wirkungsstärkeangabe des Medikaments in Mauseinheiten verwechselt, so dass es zu einer hunderttausendfachen Überdosierung kam.

In der Schweiz soll im Februar dieses Jahres ein Kind nach einer Behandlung mit Botulinum Toxin verstorben sein.
Hier handelte es sich nach allem, was wir wissen, um ein Kind mit infantiler Zerebralparese, das 20 Stunden nach einer Botulinum Toxin-Gabe verstorben ist. Eine toxische Botulinum Toxin-Nebenwirkung in diesem kurzen Zeitabstand nach der Applikation ist praktisch ausgeschlossen. Ich vermute vielmehr einen Zusammenhang mit der Narkose, die hier zur Durchführung der Botulinum Toxin-Therapie angewendet worden ist.

Vor kurzem ist Allergan, ein amerikanischer Hersteller von therapeutischem Botulinum Toxin, mit einer Sammelklage konfrontiert worden. Ihr Kommentar?
Bei dieser Sammelklage ging es um drei angebliche Todesfälle und 12 weitere Patienten mit zum Teil diffusen Allgemeinbeschwerden, die alle durch Botulinum Toxin verursacht worden sein sollen. Wieder dasselbe Muster: Reißerischer Bericht, großer Medienrummel, Details leider wegen des schwebenden
Verfahrens nicht verfügbar… Ich glaube, man kann diese Sammelklage nur verstehen, wenn man weiß, dass Sammelklagen für Anwälte in den USA ein äußerst lukratives Geschäft sind. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an die Sammelklagen gegen die Tabakindustrie und die Asbestindustrie. Da ging es um Milliarden an Anwaltshonoraren. Interessanterweise sitzen mittlerweile die prominentesten Vertreter dieser Zunft wegen Richterbestechung und Zeugenbestechung im Gefängnis. Ich kann nur hoffen, dass bei der jetzigen Sammelklage nicht versucht wird, ungerechtfertigten Profit aus einem
sehr erfolgreichen Medikament zu schlagen. Wenn ich allerdings sehe, dass diese Anwälte im Internet dazu aufrufen, sich als Mitkläger bei weiteren Sammelklagen zur Verfügung zu stellen, ahne ich Übles …